WIRTSCHAFTSPIEGEL Thüringen – Ausgabe 3/2022

Mobilität 9 ner rasanten Umsetzungsgeschwindigkeit verbreiten. Jetzt kommen zu allem noch zwei Krisen: Die eine – Corona und deren Auswirkungen – begleitet uns schon seit zwei Jahren. Die andere, nämlich der Ukrainekrieg, ist neu. Vor diesem Hintergrund: Wie schätzen Sie die Lage der Branche in Thüringen ein? Das Jahr 2022 hat es in sich. Kaum ebben die Folgen der Pandemie etwas ab, türmt sich eine neue Bugwelle unübersehbarer Risiken auf: anhaltende ChipKrise, Lieferengpässe und die Folgen eines unsäglichen Krieges mitten in Eu- ropa. All das hinterlässt auch in der europäischen Automobilindustrie deutliche Spuren, wie die Absatzzahlen des ersten Quartals zeigen. Die Thüringer Automobilzulieferindustrie bleibt grundsätzlich optimistisch, aber die Sorgen nehmen deutlich zu. Wir haben dazu Mitte Mai eine Umfrage zu den absehbaren Folgewirkungen der aktuellen Krisen auf Thüringer Standorte der Automobilindustrie unter 195 Zulieferunternehmen mit insgesamt 55.000 Beschäftigten durchgeführt. Neben den Geschäftserwartungen im Jahr 2022 wurden Einschätzungen zur Umsatzentwicklung und Liquidität abgefragt. Die Ergebnisse sind in ihrer Deutlichkeit bedrückend. Nahezu 50 Prozent der Unternehmen erwarten in 2022 ein hohes beziehungsweise sehr hohes Liquiditätsrisiko, das sich in steigenden Preisen/ Kosten bei Energie und Material sowie ausbleibenden Abrufen der Kunden begründet. Eine weitestgehend gute Zahlungsmoral ist ein Lichtblick in der Liquiditätskrise. 70 Prozent der Unternehmen bestätigen eine Einhaltung der Zahlungsziele durch ihre Kunden. Trotz der vorgenannten Risiken gehen die Unternehmen weit überwiegend (zirka 80 Prozent) davon aus, dass die Umsatzentwicklung 2022 gegenüber dem Vorjahr konstant bleibt beziehungsweise sich sogar erhöht. Ein ähnliches Bild ergibt sich für die erwartete Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in 2022. Was beschreiben Ihre Mitgliedsunternehmen als die derzeit größten Herausforderungen? Die Sorgen um Liquidität und Personalverfügbarkeit nehmen weiter zu. Die größte Herausforderung der Unternehmen – die Personalverfügbarkeit – ist nicht neu, aber das zunehmende Ausmaß mangelnden Personals ist sehr besorgniserregend für die weitere Entwicklung. 80 Prozent der Unternehmen geben in unserer Mai-Umfrage an, dass sie heute schon nicht mehr alle offenen Stellen besetzen können. Folgen sind Zusatzbelastungen durch längere Vakanzen bei der Stellenbesetzung, Anpassung von Einstellungskriterien und höhere Qualifizierungsaufwendungen und beschleunigte Automatisierung. Die gegenwärtig belastenden Versorgungsrisiken und Verwerfungen der globalen Lieferketten werden voraussichtlich von temporärer Natur sein. Li- quiditätsgefährdende Preissteigerungen bei Energie-, Material- und Logistikkosten sowie die mangelnde Personalverfügbarkeit werden hingegen auf absehbare Zeit bestehen bleiben. Diese stellen eine zusätzliche Herausforderung für die Unternehmen dar, um im automobilen Strukturwandel zu bestehen. Das Stichwort Liquidität nehme ich gern auf. Worin begründet sich diese Sorge – die Auftragsbücher sind doch angeblich voll? Die Sorgen begründen sich vor allem in steigenden Energie- und Materialkosten sowie in starken Schwankungen bei den Abrufen durch die Kunden. Aber auch bei gesetzlichen Vorgaben und bestehenden Regelungen in Deutschland, auch im innereuropäischen Vergleich, bewertet die hiesige Zulieferindustrie die Rahmenbedingungen zunehmend existenzbedrohend. Gesetzliche Faktoren setzen die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland unter erheblichen Druck. Die bestehenden Unsicherheiten über die künftige Ausgestaltung der deutschen Industrie- und Energiepolitik unterstützen diese problematische Lage. Schon seit längerem ist die Situation in Deutschland durch sich ständig ändernde Verordnungen, Verfügungen und Erlasse dynamisch. Der Würgegriff der Corona-Pandemie mit Umsatzeinbußen seit Beginn 2020 und die jetzigen Krisen belasten die Thüringer Zulieferindustrie einmal mehr neben dem ohnehin schon zusätzlich stattfindenden automobilen Strukturwandel. Für die Zulieferindustrie und den Maschinenbau als wichtigen Ausrüster sind die im internationalen Vergleich hohen Strompreise darüber hinaus zu einer enormen Belastung geworden. Zudem ist dieser Umstand für Investitionsentscheidungen nachteilig. Deutschland muss aufpassen, dass sich seine Wettbewerbsposition im internationalen Vergleich nicht verschlechtert. Die deutsche Automobilbranche und mit ihr die Unternehmen der Zulieferindustrie tun alles, um die Krise zu überstehen. Dabei darf der Automobilstandort Deutschland nicht zusätzlich weiter belastet werden. Dann kommen wir jetzt zum Thema Fachkräfte. Es gingen Meldungen über Schließungen von Produktionsstandorten durch die Medien. Angesichts dessen müssten doch die Firmen, die Fachkräfte suchen, vor Freude in die Hände klatschen. Löst sich so das Problem möglicherweise in Teilen von selbst? Dann bliebe die Frage: Wie überzeugt man Menschen davon, für einen neuen Job ihren eigentlichen Lebensmittelpunkt –zumindest in Teilen –zu verlassen? Seite Ende 2021 arbeiten wir mit dem Chemnitz Automotive Institute (CATI) an einer Studie zur „Kompetenzentwicklung Zukunft Automobil in Thüringen“. Auftraggeber ist die Thüringer Agentur Für Fachkräftegewinnung (ThAFF). Im Projekt werden sowohl die Bedarfe an künftig notwendiger Kompetenzent-

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